IHL-Newsletterbeitrag

„Mission beinhaltet den Umgang mit der sich ständig verändernden Welt.“

Scott W. Sunquist

Mission im Wandel – von Dave Jarsetz

Die Welt dreht sich nicht nur um ihre eigene Achse, sie wandelt sich auch permanent. Veränderungen betreffen unser persönliches Leben, Weltanschauungen, Sprache, Kultur, die Gesellschaft – und die Missionsarbeit.

Erneuerungen werden von den einen willkommen geheißen, von anderen ignoriert, abgelehnt oder sogar bekämpft. Mancher Wandel vollzieht sich schleichend, sodass wir kaum davon etwas mitbekommen. Zu allen Zeiten haben Veränderungen zum Leben gehört, und sie werden in Zukunft nicht auszuklammern sein.

Aktuell stehen auch wir als Missionsorganisation immensen weltpolitischen, gesellschaftlichen, religiösen, kirchlichen und weltmissionarischen Veränderungen gegenüber. Viele von uns waren es gewohnt, in einer stabilen, sicheren, einfachen und eindeutigen Welt zu leben. (1) Die neue Welt wird als die unberechenbare, unsichere, komplexe und mehrdeutige VUCA-Welt (2) beschrieben, die zusätzlich von einer Pandemie heimgesucht wird. Für die weltweite Missionsarbeit beinhaltet dies nicht nur große Herausforderungen, sondern auch Chancen.

Als Liebenzeller Mission sind wir Teil dieser sich ständig ändernden Welt. Wir haben, wie die Söhne Issachars zur Zeit Davids, die Zeichen der Zeit wahrzunehmen, zu deuten und damit umzugehen (1. Chronik 12,33). Aus diesem Grunde haben wir bereits vor über einem Jahr den Prozess „Mission for Future“ (M4F) gestartet. Mit Vertretern aus dem Bildungsbereich, unseren weltweiten Partnern, anderen Werken und der Leitung suchen wir nach Antworten, wie Missionsarbeit im 21. Jahrhundert auszusehen hat.

 

1.) Im Zeichen des Wandels

Hier einige allgemeine Wahrnehmungen, welchen Veränderungen wir in der Missionsarbeit gegenüberstehen.

 

Von überall nach überall

Aus bescheidenen Anfängen der protestantischen Missionsbewegung im 18. Jahrhundert sind im 21. Jahrhundert im globalen Süden große Kirchen geworden, deren Vitalität und Mitgliederzahl die europäische Christenheit bei Weitem überragen (siehe Grafik).

Die Missionsbegeisterung erwuchs aus der Erweckungsbewegung. Dabei segelte die anfängliche Bewegung auch mit dem Rückenwind des Kolonialismus und wurde von vielen reichen Gönnern und Spendern unterstützt. Die Marschrichtung lautete „From the West to the Rest“ und bewegte sich von dort aus. Heute erleben wir fast überall in Europa einen Niedergang der (Volks)Kirchen. Die Missionsarbeit nimmt dagegen außerhalb der westlichen Welt weiter dynamisch zu. Sie wächst besonders in Ost- und Südostasien, Afrika und Lateinamerika. Mission geschieht von überall nach überall und erfolgt von vielen Zentren aus.

 

Vom Sender zum Empfänger

Missionsarbeit ist schon lange keine Einbahnstraße mehr. Deutschland/Europa wird zunehmend zum empfangenden Land/Kontinent und gewinnt Missionare aus dem Ausland, vor allem aus der Zweidrittelwelt. Man kann sie als „internationale missionarische Mitarbeitende“ bezeichnen. Sie haben eine große Leidenschaft, unser entkirchlichtes und säkulares Europa mit dem Evangelium zu erreichen. Schätzungen zufolge gibt es allein in Deutschland bereits mehr als 1000 internationale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Was bedeutet das für uns als sendendes Missionswerk, und welchen Beitrag können und wollen wir dazu leisten? Unsere ersten Unternehmungen mit chilenischen Kurzzeitmissionaren in Deutschland greifen diesen Wandel auf.

 

Vom Pionier zum Teamplayer, Vermittler und Spezialisten

Auch die Rolle der Missionare ist vom Wandel inbegriffen. Während sie in der Vergangenheit eher mit dem Selbstverständnis eines Pioniers ausreisten, übernehmen sie heute andere Rollen und Aufgaben. Sie agieren verstärkt als Teamplayer auf Augenhöhe mit einheimischen Partnern. Wie im Gemeindegründungsprojekt in Lusaka: Ehepaar Meier und die sambische Pastorenfamilie Mambwe leiten das Projekt gemeinsam. Missionare brauchen heute den Willen für die zweite Reihe und ein „Ersatzreifen-Bewusstsein“. Ihnen kommt grundsätzlich eine stärker temporäre Vermittler-, Begleiter- und Beraterrolle zu. Sie können als spezialisierte Diener (specialized servants) verstanden werden. So wird bspw. Martin und Tabea Auch in den nächsten Wochen als Missions- und Jüngerschaftsmobilisatoren nach Uganda ausgesandt, um mit Kirchen und Organisationen vor Ort zusammenarbeiten. Dabei verstehen sie sich in erster Linie als Begleiter (Come Alongsider), Unterstützer, Multiplikatoren, Moderatoren sowie Mentoren für eine gewachsene und wachsende ugandische Kirche mit ihren Herausforderungen.

 

Von analog zu digital

In den vergangenen Jahren spielen die neuen Medien rund um die Missionsarbeit eine zunehmend wichtigere Rolle. In unseren Einsatzländern, konkret in Japan und Malawi, bereiten sich angehende Missionare darauf vor, auf den neuen, digitalen Wegen junge Menschen zu erreichen. Viele einheimische Kirchen vor Ort wären damit überfordert – mit ihren bisher bewährten Methoden erreichen sie die „Instagram-Generation‘“ nicht mehr.

Am College of Christian Theology Bangladesh (CCTB) wurden bspw. bereits alle Programme auf digitale Lehre umgestellt. Unsere Missionare können dezentral den Unterricht mitgestalten.

Darüber hinaus informieren Missionare ihre Freunde und Unterstützer verstärkter über Posts, Reels und Stories und nehmen sie somit in ihren Alltag und ihre Aufgaben mit hinein.

 

2.) Im Fokus der Zukunft

Von der Zukunfts-Fahrt

Es ist ungewiss, wohin das Missionsarbeitsschiff auf dem Weltenmeer in der kommenden Zeit zusteuert, welche Kurskorrekturen vorgenommen werden, ob flexibel einsetzbare Schnellboote zum Einsatz kommen oder gar an Alternativen wie Rettungshubschrauber gedacht werden muss. Das Weltunternehmen „Mission Gottes“ kommt dabei gewiss nicht zum Ende. Wir können sicher sein, dass Gott seinem Ziel mit dieser Welt und den Menschen treu bleibt. Er hat das Ruder in der Hand. Er sendet seinen Geist und navigiert die Seinen durch alle Stürme dieser Zeit. Als Jesus-Nachfolger sind wir eingeladen, mit unseren kleinen Handlungen in Gottes großes Handeln einzustimmen.

Dabei geht es nicht um einen menschlichen Masterplan zur Rettung der Welt. Es geht um kluges Fragen, Hören und Denken. Es geht um Demut, Weisheit und Dienstbereitschaft, aber auch um Veränderungsbereitschaft, Mut und Kurskorrekturen. Im Blick auf die Zukunft unserer Missionsarbeit haben wir es mit einer Fülle von Faktoren zu tun, die immer schwerer zu überschauen, geschweige denn zu planen sind. Wir befinden uns im Wildwasser und nicht auf ruhiger See. Wir fahren auf Sicht. Dabei sind wir sehr herausgefordert, aber nicht allein.

 

Von den Zukunfts-Thesen

Mission der Zukunft

  • wird internationaler und einheimischer (indigenous). Wir werden mehr, intensiver und gleichberechtigter mit den einheimischen Schwestern und Brüdern zusammenarbeiten.
  • wird nicht mehr auf das eine Modell des christlichen Missionars und Missionsdienstes setzen, das junge Leute aus dem Westen mithilfe einer Missionsgesellschaft zu den Menschen, Gemeinden und Kirchen des globalen Südens sendet, um ihnen das Evangelium, theologische Lehre oder humanitäre Hilfe zu bringen. Es wird mehr und mehr ein beiderseitiges Lernen und Lehren, Helfen und Engagement werden.
  • wird noch stärker Partnerschaft mit lokalen und einheimischen Partnern suchen und brauchen, weil nur so eine nachhaltige Wirkung vor Ort entsteht.

 

Von den Zukunfts-Essentials

Zu den wesentlichen Punkten, die gegenwärtige und zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Auftrag des Herrn brauchen, zählen:

  1. Mut zum Wandel – denn Erhaltung ist angesichts der tiefgreifenden Veränderungen nicht das Ziel.
  2. Geistgeleitete Agilität – denn bei aller Schnelllebigkeit und Komplexität braucht es flexibles und bewegliches Agieren.
  3. Eine stärkere „Demokratisierung“ von Mission – denn sie ist die große, oft vergessene Querschnittsaufgabe aller Christen in allen Ländern und Kulturen.
  4. Raum für Innovation, Kreatives und Experimentierfreude – denn sie sorgen für die nötige Weiterentwicklung.
  5. Der Heilige Geist – denn er sorgt für die notwendige Dynamik und Motivation.
  6. Fachkompetenz – denn es kommt darauf an, fachbezogenes und fachübergreifliches Wissen zu verknüpfen, zu vertiefen, kritisch zu prüfen sowie in Handlungszusammenhängen der unterschiedlichen Kontexte anzuwenden.
  7. Das Nutzen der neuen Technologien – denn nur so erreichen wir die Menschen unserer Tage.
  8. Führungsgewissheit und Platzanweisung – denn Mitarbeitende brauchen eine innere und äußere Gewissheit darüber, dass sie von Gott an „den Platz“ und diese Aufgabe gestellt sind.

Im Angesicht allen Wandels brauchen wir Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die wir nicht ändern können, den Mut, Dinge zu ändern, die wir ändern können, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. (3)

 

Von der Kompetenzorientierung und der Ausbildung

Der jeweilige Berufskontext im kulturübergreifenden Dienst ist komplex und erfordert eine Reihe verschiedener Fähigkeiten. Neben der rein fachlichen Berufsqualifikation spielen vor allem geistliche, personale und soziale Kompetenzen eine enorm wichtige Rolle.

Die Studien- und Lebensgemeinschaft (SLG) fördert in besonderer Weise das geistlich-charakterliche Wachstum sowie die Soft-Skills der Studierenden.

Angesichts der aktuellen Weltlage braucht es zukünftig Mitarbeitende mit einer hohen Fachexpertise, Resilienz (die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen), Unsicherheitskompetenz (die Fähigkeit Unsicherheit auszuhalten), Ambiguitätstoleranz (die Fähigkeit Vieldeutigkeit und Unsicherheit zur Kenntnis zu nehmen und ertragen zu können) und einer stark ausgeprägten Teamfähigkeit. Was den Missionsdienst angeht, so spricht sich Prof. Dr. Jürgen Schuster für eine dynamische Kontextualisierungskompetenz aus. Darunter versteht er theologische und kulturelle Weisheit, die Reflexions-, Entscheidungs- und Handlungskompetenz miteinander verbindet.

Die Studiengänge ETH, TPI und TSA sorgen für theologische und fachliche Grundqualifikationen, die für den kulturübergreifenden Dienst sehr wichtige Bausteine darstellen. Trotz formalem Studium mit akademischem Abschluss braucht es aber auch Kompetenzen, die über die fachliche Expertise hinausgehen. Dazu zählen u.a.: geistliche Unterscheidungsfähigkeit, eine lernende Grundhaltung (life long learning), Teamfähigkeit, Dienst- und Leidensbereitschaft, Flexibilität / Anpassungsbereitschaft oder Beziehungs- und Kontaktbereitschaft.

 

Von den Berufsbildern und den Herausforderungen

Die Berufsbilder im kulturübergreifenden Dienst sind nach wie vor sehr vielfältig und lassen sich nicht immer eindeutig auf ein eindeutiges Berufsbild konzentrieren. Das fordert die Planung heraus und setzt ein hohes Maß an Flexibilität voraus.

Das teilweise etwas schwierig zu bestimmende Berufsbild hat damit etwas zu tun, dass sich Aufgaben aufgrund des Partners, der Teamsituation oder anderer Umstände relativ schnell und ungeplant verändern können. Es kann auch sein, dass sich Anliegen und Perspektiven des jeweiligen Mitarbeiters im Laufe des Anpassungsprozesses verändern. Dazu kommt, dass Missionare besonderen Stressoren ausgesetzt sind, die mit dem Umfeld einhergehen.

In den vergangenen Jahren haben wir gezielter daran gearbeitet, Berufsbilder zu schärfen, indem durch die strategische Planung konkrete Stellen geschaffen wurden. So werden bspw. Gemeindegründer, Gemeindeentwickler, Lead Pastoren, Pastor Next Generation, theologische Lehrer, Medien-Missionare, Sozialarbeiter, Pädagogen, Administratoren, Koordinatoren, impact Baseleiter oder Berater (consultants) in verschiedene Aufgaben und Länder entsandt.

Es ist das Ziel den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen und Bedarfe sowie Berufsbilder mit unseren Partnern zu klären und zu schärfen.

 

Von der Trägerin und den Bedarfen

Als Trägerin der Hochschule investieren wir viele Ressourcen in die geistlich, persönlich-charakterliche sowie fachliche Ausbildung junger Menschen. Wir sind froh und dankbar darüber, dass unsere Missionarinnen und Missionare über die eigenen Ausbildungsstätten ins Mitarbeiterteam finden und somit das Gesamtwerk bereits kennengelernt haben. Die absolute Mehrheit unserer rund 200 LM-Deutschlandmitarbeitenden haben einen LM-Ausbildungshintergrund über das damalige Theologische Seminar der LM (ThSLM), die IHL oder die Interkulturelle Theologische Akademie (ITA). Darüber hinaus werden das hohe Niveau und die hohe Qualität der IHL-Studiengänge auch von unseren Partnern sehr geschätzt. Wir freuen uns über motivierte, begabte und fachlich-qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die Bedarfe in unseren weltweiten Arbeiten sind nach wie vor hoch. Aktuell haben wir rund 40 offene Stellen in den rund 20 Einsatzländern. Unsere Länderteams brauchen Verstärkung – besonders die Länder in Burundi und Bangladesch.

Hier geht es zu unserem Stellenportal: https://www.liebenzell.org/mitmachen/mitarbeiten/stellenportal/

Nimm gerne Kontakt mit Joachim Jenny auf, der dir kompetent Auskunft über die Stellenan-gebote gibt und dich gerne bei einer beruflichen Neuorientierung berät (Joachim.Jenny@liebenzell.org).

Werde Teil unseres Teams! Hier erfährst du mehr: https://www.liebenzell.org/medien/film-und-tv/kurzclips/join-our-team/

 

3.) Ein Blick auf das Unwandelbare

Zum Schluss noch der Fokus auf das Bleibende. Zum Wesen und Ethos der Mission gehörte zu allen Zeiten:

  1. Sendungsmut – denn Sammlung und Bildung ohne Sendung hat keine Zukunft.
  2. Freude an Jesus – denn Mission beginnt mit Freude.
  3. Vertrauen in die Möglichkeiten Gottes – denn Jesus kommt auch mit der Niedrigkeitsgestalt seiner Gemeinde zum Ziel.
  4. Das klare Bekenntnis zur Evangelisation und zur Bibel – denn Jesus spricht vom Ende der Zeit als der ultimativen Herausforderung für unser Bekenntnis.
  5. Rückhaltloses Engagement – denn wir wirken im Auftrag Gottes und in der Kraft seines Geistes.

In einem schriftlichen Gruß an die Delegierten des dritten Lausanner Weltkongresses 2010 in Captown verwies Billy Graham auf das Unveränderliche in Zeiten des Wandels: „Ich bete, dass ihr nie vergesst, dass sich einige Dinge in den vergangenen 36 Jahren nicht geändert haben – und sie werden sich auch nie ändern, bis unser Herr wiederkommt. Zum einen haben sich die tiefsten Bedürfnisse des menschlichen Herzens nicht geändert – das Bedürfnis, mit Gott versöhnt zu werden und seine Liebe, Vergebung und verwandelnde Kraft zu erfahren. Auch das Evangelium hat sich nicht geändert … Auch der Auftrag Christi an seine Jünger hat sich nicht geändert – der Auftrag, in alle Welt zu gehen und das Evangelium zu verkünden …“(4)

Angesichts allen Wandels in der Missionsarbeit schließe ich mit dem, was wir als Liebenzeller Mission unter dem Wert „Zukunftsorientierung“ festgehalten haben: „Wir fragen nach der Relevanz für die Zukunft der Gemeinde und dieser Welt und gehen erforderliche Schritte mutig im Glauben.“ Hoffentlich ganz im Sinne der Söhne Issachars. Daher: willkommen Zukunft!

Dave Jarsetz

Missionsdirektor

 

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[1] Das Akronym SSEE World steht für Stable (= stabil, berechenbar, linear, andauernd), Secure (= sicher, zuverlässig, vorhersehbar), Easy (= einfach, leicht, nachvollziehbar), Explizit (= eindeutig, klar, verständlich).

[2] VUCA ist ein Akronym für die englischen Begriffe „volatility“ (Beweglichkeit), „uncertainty“ (Unsicherheit); „complexity“ (Komplexität) und „ambiguity“ (Mehrdeutigkeit).

[3] In Anlehnung an das Gebet von Reinhold Niebuhr.

[4] Frei übersetzt. https://lausanne.org/news-releases/billy-graham-tribute.