Evangelische Märtyrer: Zwischen Heldentum und Opferrolle
Unser neuer Professor für Kirchen- und Missionsgeschichte, Prof. Dr. Eduard Ferderer, hielt am Abend des 3. Juli 2025 eine fesselnde Antrittsvorlesung. Unter dem Titel „Evangelische Märtyrer oder (deutsche) Opfer?“ beleuchtete er die komplexe Debatte, die den Protestantismus in dieser Frage seit Jahrzehnten prägt.
Rektor Volker Gäckle eröffnete den Abend mit herzlichen Worten und betonte die Freude über den neuen Professor: „Wer hätte gedacht, dass unser erstes Telefonat vor 6 Jahren zu einem so erfreulichen Abend für unsere Hochschule führt? Wir sind glücklich, einen so kompetenten Kirchenhistoriker bei uns begrüßen zu dürfen.“
Ferderer verglich zu Beginn seiner Vorlesung das klare katholische Märtyrerverständnis mit der weitaus uneinheitlicheren evangelischen Position. Er kritisierte die weite Definition im „evangelischen Martyrologium“ von 2006, das auch christlich motivierten Widerstand gegen politisches Unrecht einbeziehe, aber paradoxerweise getötete Missionare ausschließe.
Der Dozent für Kirchengeschichte machte deutlich, dass der Märtyrerbegriff im 20. Jahrhundert oft politisch instrumentalisiert werde. Er zitierte den Theologen Martin Ohst, der die Übertragung des altkirchlichen Märtyrerbegriffs auf die moderne Zeit hinterfragt:
„Im 20. Jahrhundert wurden […] evangelische Christen [oft] nicht wegen ihres religiösen Bekenntnisses misshandelt und getötet, sondern wegen ihrer politischen Optionen sowie als Angehörige von Rassen, Völkern und Klassen, deren Lebensrecht und Menschenwürde in krimineller Verblendung geleugnet wurden.“
Dies verdeutliche, wie stark die Anerkennung von „Märtyrern“ von kirchenpolitischen und gesellschaftlichen Zielen geprägt gewesen sei. Ein zentrales Beispiel für diese Problematik seien die „Baltischen Märtyrer“ von 1919. Obwohl im evangelischen Martyrologium aufgeführt, ist ihr Gedenken umstritten, da sie in der NS-Zeit ideologisch vereinnahmt wurden und die Todesmotive der Verfolger oft vielschichtiger waren als reiner Glaubenshass.
Prof. Dr. Ferderer schloss, dass der Märtyrerbegriff im Protestantismus zu einem „Kampffeld unterschiedlicher evangelischer Glaubensverständnisse“ geworden sei. Während Protestanten offenkundig Helden und und Vorbilder brauchen, bleibe die Einigung auf eine gemeinsame Kriteriologie eine Herausforderung. Die Vorlesung lieferte somit einen wichtigen Anstoß zur kritischen Reflexion der evangelischen Erinnerungskultur.
Eduard Ferderer, Jahrgang 1988, verheiratet und Vater von drei Kindern, ist seit 2024 Professor für Kirchen- und Missionsgeschichte an der IHL und leitet den Masterstudiengang Evangelische Theologie. Seine akademische Laufbahn umfasst eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der IHL (2020–2024) und an der Universität Osnabrück (2018–2019), wo er 2020 auch seine Promotion in Kirchengeschichte abschloss. Vor seiner Berufung nach Liebenzell war er von 2014 bis 2020 als Gemeinschaftspastor im Ev. Gemeinschaftsverband Hessen-Nassau e.V. tätig. Sein Theologiestudium absolvierte er von 2009 bis 2014 an der Evangelischen Hochschule TABOR (EH-Tabor).
Professor Dr. Frank Lüdke, ein langjähriger Lehrer und Wegbegleiter Ferderers und Professor für Kirchengeschichte an der EH-Tabor, richtete ein herzliches Grußwort an den neuen Professor. Lüdke betonte Ferderers Berufung mit den Worten: „Du bist als Theologieprofessor ein Zeuge und Bekenner des Glaubens, und wir wissen, dass dieses Wirken nur in der Kraft des Heiligen Geistes geschehen kann.“
Im Anschluss an die tiefgründige Vorlesung fand ein Sektempfang statt, bei dem die Hochschulgemeinschaft, Wegbegleiter und Familie von Dr. Ferderer die Gelegenheit nutzten, ihn als neuen Professor willkommen zu heißen und die spannenden Diskussionen des Abends fortzusetzen.