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IHL-Newsletterbeitrag

Das Ringen um die Zukunft der theologischen Ausbildung

Hintergrund

Seit Jahrhunderten wird an deutschen Universitäten evangelische Theologie auf höchstem Niveau gelehrt. Eine akademische, theologische Ausbildung an freien Hochschulen ist für Viele daher nicht vorstellbar oder zumindest nicht vergleichbar. In anderen Ländern kennt man diese Fixierung auf staatliche Universitäten nicht. Da führt der Weg ins Pfarramt ganz selbstverständlich über die kirchlichen Colleges (in England z. B. ausschließlich) oder die privaten Hochschulen (etwa in Amerika). Angesichts des zunehmenden Mangels an Pfarrern und Pastoren sowie einer Krise traditioneller Kirchen und Gemeinschaften stellt sich die Frage, ob nicht auch in Deutschland „neue“ Wege eingeschlagen werden müssen.

Im Herbst 2022 beschloss daher die Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, im Rahmen eines umfassenden Maßnahmenpakets zur Erhaltung möglichst vieler Pfarrstellen, die nicht nur finanziert, sondern eben auch besetzt werden müssen (was langfristig womöglich das größere Problem sein wird), über Zugangsmöglichkeiten nachzudenken, um auch Absolventen der IHL in den kirchlichen Dienst aufnehmen zu können. Wie genau das Realität werden kann, ist noch völlig offen und viele rechtliche Fragen müssen erst geklärt werden. Doch eines ist schon jetzt sicher: Dieser Beschluss löste und löst innerhalb und außerhalb der Landeskirche ambivalente Reaktionen aus – sowohl bei Kritikern als auch bei Befürwortern.

Prof. Dr. Roland Deines stellte sich anlässlich dieser Debatten zu Beginn dieses Jahres einer lebhaften Podiumsdiskussion an der Ev.-Theol. Fakultät der Universität Tübingen (https://www.idea.de/artikel/diskussion-pfarramt-fuer-absolventen-freier-hochschulen-oeffnen). Im Nachgang dieser Debatte schrieb er einen Artikel für das Magazin der ChristusBewegung Lebendige Gemeinde (https://lebendige-gemeinde.de/magazin/LG_2023_01/Lebendige_Gemeinde_1_2023.html#p=16). Darin bekräftigt er seine Überzeugung, dass sowohl die Kirche als auch die Wissenschaft von einer Ausweitung der theologischen Ausbildung profitieren.

Wir haben darum bei Roland Deines nachgehakt, um weitere Einblicke zu erhalten:

„It’s impossible but you can try” und manchmal sogar “it’s impossible but we can try.” Das ist der Spirit, der mir an den Universitäten in England und Israel begegnet ist. Auch da gibt es Vorschriften, Regularien und viel zu viele Paragraphen, die, indem sie ordnen wollen, vielfach neue Entwicklungen verhindern. Das ist wie in Deutschland. Aber dann kommt dieser Spirit dazu, der in Deutschland oft fehlt: Geht nicht gibt’s nicht. Wenn es eine gute Idee ist, die Zukunft verspricht, dann versuch’s. Oder: Wir versuchen das. Und so kam es, dass ich Neues Testament an einer israelischen Universität unterrichtet habe oder in England eine Stelle bekam, ohne dass ich zur Bewerbungsvorlesung kommen musste. Ein Telefon-Interview musste reichen, weil anderes zu der Zeit eben nicht ging. In Deutschland wäre so etwas nicht möglich gewesen. Meinem Eindruck nach bleibt hier jede zweite gute Idee unverwirklicht, weil sie im Paragraphendschungel abgewürgt wird. Irgendwelche Bedenkenträger sind immer da. In England und Israel geht es darum, gute Ideen oder hoffnungsvolle Projekte umzusetzen (wobei in beiden Ländern die Entwicklung der letzten Jahre mich durchaus traurig und sorgenvoll stimmt). Dass in England Fresh-X entstand und anglikanische Bischöfe Mission als zentrales Thema der Kirche formulieren, liegt an dieser Mentalität. Wissenschaftlich bedeutete dies: eine viel größere Bandbreite an theologischen (oder gesellschaftlichen) Positionen, die an der Universität vertreten waren. Zudem gibt es in der Regel viel internationalere Kollegien als ich das von deutschen Universitäten (zumindest in den geisteswissenschaftlichen Fächern) her kenne.

Das Schöne an Auslandserfahrungen ist, dass solange man im Ausland lebt und sich über das Anderssein der Menschen, der Formulare und Vorschriften ärgert, denkt man im Herzen: in Deutschland ist alles so viel besser organisiert. Ist man dann zurück in Deutschland, denkt man: das Leben in England oder in Israel war so viel ungezwungener, die Menschen viel freundlicher, dynamischer, offener, jünger … Von daher. Natürlich gibt es Dinge, die einen ärgern. Und natürlich gibt es die Situationen, wo man nicht dazu gehört, weil man eben kein Engländer oder kein Israeli ist. Wer mit Samthandschuhen angefasst werden will und den einen oder anderen Rempler nicht abkann, der sollte zu Hause bleiben.

Die Frage lässt sich leicht beantworten: es gab schlicht keine Reaktion darauf – zumindest keine, die mich erreicht hätte. Was natürlich in erster Linie daran liegt, dass die meisten Universitätstheologen IDEA nicht lesen. Aber ich hätte mir schon eine etwas intensivere Diskussion gewünscht. Mein Eindruck ist, dass bei den meisten Fakultäten die privaten theologischen Hochschulen noch immer nicht wirklich auf dem Schirm sind.

Zunächst einmal: auch unsere Zahlen für den Studiengang „Evangelische Theologie“ sind viel zu gering. Darum möchte ich diese Gelegenheit nützen, um alle zu bitten, intensiv Werbung gerade für den theologischen Studiengang zu machen. Wir brauchen für die Gemeinden, egal ob Landes- oder Freikirchen, theologisch kompetente Leiter und Begleiter. Das ist im Moment sicher eines der schwierigsten Berufsfelder, die ich mir vorstellen kann: eher unterdurchschnittliche Bezahlung, aber von den Gemeinden her mit Erwartungen konfrontiert, die eine einzelne Person beim besten Willen nicht erfüllen kann. Ich selber meine ja, dass die überzogene Erwartungshaltung der Gemeinde eines der Haupthindernisse für junge Pastoren ist, glücklich in ihrem Beruf zu werden. Darum erleben wir auch so einen theologischen Wildwuchs in vielen Gemeinden, weil auch da jeder seine eigene Wahrheit hat und sich nichts sagen lassen will.

Aber nun zur eigentlichen Frage: Ich bin sehr dankbar für mein theologisches Studium. Ich war zuerst an der FETA in Basel (heute STH), dann an den Unis in Basel und Tübingen. Das hat mir Horizonte erschlossen, die wir an der IHL nicht bieten können, weil eine Universität eben von der Größe her eine ganz andere Nummer ist. Ich habe Vorlesungen in Alter Geschichte, Archäologie, Philosophie und in der katholischen Fakultät gehört, dazu zahlreiche Vorträge von prominenten und weniger prominenten „public intellectuals“ aller Fachrichtungen. Das intellektuelle Klima in einer echten Uni-Stadt ist etwas anderes wie Bad Liebenzell (darum träume ich ja von einem Zweitcampus im Ruhrgebiet!). Da sollten wir darum so viel Kontakte wie möglich haben und pflegen. Auch die wissenschaftliche Tiefe, die das traditionelle Uni-Studium mit sich bringt, hat etwas für sich. Viele sehen das in erster Linie als unnötigen intellektuellen Ballast an. Das kann es auch sein. Aber es kann eben auch ein Augen- und Verstehensöffner für die Geschichte des christlichen Glaubens in Vergangenheit und Gegenwart sein, für welche die junge Generation nach meinem Geschmack zu wenig Interesse hat. Auch da können die privaten Hochschulen, vorwiegend aus finanziellen Gründen, noch nicht die Forschungstiefe erreichen, die zu einer guten theologischen Existenz gehört. Umso wichtiger ist es darum, dass wir mit den Mitteln, die wir haben und der Zeit, die wir zur Verfügung gestellt bekommen, das Beste herausholen. Das bedeutet: so intensiv wie möglich studieren und sich auf intellektuelle Tiefe einlassen. Dann kann man auch in 4 Jahren Bad Liebenzell ein beträchtliches Niveau erreichen. Frömmigkeit allein macht jedenfalls keinen guten Pfarrer.

Das ist eine Debatte, die gerade quer durch alle theologischen Fakultäten geführt wird. Die Tendenz ist: je kleiner (und damit in ihrer Existenz bedrohter) eine Fakultät oder ein Fachbereich an der Uni sind, desto eher werden Abstriche bei den alten Sprachen verlangt, weil das eben doch viele vom Studium abschreckt oder gleich am Anfang aus der Bahn wirft. Je größer und elitärer die Uni, desto stärker wird auf diese Standards gepocht. Ich selber meine, dass Sprachkenntnisse die theologische (und geistliche!) Existenz bereichern und vertiefen. Aber dazu reichen gute Kenntnisse in Koine-Griechisch und ein Verständnis der Besonderheiten der hebräischen Sprache. Auch Grundkenntnisse in Latein halte ich für wünschenswert, weil sich dadurch vieles erschließt. Aber da muss man sagen: das brauchen nicht alle als Voraussetzung, sondern für die, die sich dafür interessieren, sollte es Angebote während des Studiums geben. Darum: Koine-Griechisch für alle und zwar durch das ganze Studium hindurch, Hebräisch und Latein für die, die es genau wissen wollen. Damit fallen wichtige Kenntnisse weg, aber in England kann man z.B. im Neuen Testament promovieren, ohne Hebräisch zu können.

Wie sagte Adam, als er Eva sah: „Sie ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ (Gen 2,23). Ohne Kirchen gäbe es keine Gemeinschaften, ohne Landeskirchen keine Freikirchen. Das sind historische Strukturen, die viel Segen gestiftet haben und es bis heute tun. Die Landeskirchen sind die großen Bäume, in deren Schatten und Schutz viele der kleinen Initiativen und Werke gedeihen. Ich möchte diese alten Bäume nicht absterben sehen, ich möchte sie schon gar nicht fällen, sondern beten, hoffen und daran mitarbeiten, dass sie stark bleiben und Früchte bringen. Die Landeskirchen erreichen noch immer sehr viele Menschen und sie haben großen gesellschaftlichen Einfluss. Daran nicht mitzuwirken halte ich für unklug. Die Geschichte zeigt, dass auch große und träge Kirchen reformiert werden können.

Dazu habe ich oben ja schon einiges gesagt. Die Gefahr besteht in der Tat. Aber sie ist auch nicht so groß, dass ich mir deswegen Sorge mache. Auch im Schwarzwald gibt es Internet, Menschen mit Migrationshintergrund, Queerness, Obdachlosigkeit, Alkoholismus, Depressionen, Altersarmut und -einsamkeit und was immer sonst noch zu einer pluralen und hippen Gesellschaft gehört. Allerdings gibt es diese Dinge hier in einer anderen Dosierung und Ausprägung, aber ich meine: eben in einer viel weiter verbreiteten Ausprägung als in den urbanen Zentren, wie das so wunderschön verführerisch heißt (was ja auch bedeutet: viel Stau, wenig Garten, horrende Immobilienpreise und ein Leben zwischen Teer und Beton statt zwischen herrlichen Tannen und Buchen). In Deutschland leben rund 77 Prozent der Bevölkerung in einer Stadt. Allerdings zählen hierzulande für die Statistik alle Siedlungen mit mehr als 2000 Einwohnern als Stadt. Großstädte mit über 100.000 Einwohnern gibt es gerade mal 80. In diesen leben 30% der Bevölkerung. Mit anderen Worten: die Großstädte (und Universitätsstädte) sind ebenfalls Blasen, in denen sich bestimmte Milieus tummeln und wohlfühlen. Die Lebenswirklichkeit in den Städten bis etwa 30.000 Einwohnern ist aber sehr verschieden von Berlin und Co.! Die IHL repräsentiert damit ein Lebensumfeld, das dem der Bevölkerungsmehrheit entspricht, auch wenn die mediale Wirklichkeit anderes suggeriert. Zudem studieren unsere Studis in Liebenzell, aber leben darüber hinaus an vielen Orten und kommen auch aus ganz unterschiedlichen Orten und Milieus. Wie gesagt: die idyllische Schwarzwaldblase ist meine kleinste Sorge…

Eine gute Ausbildung ist die Grundlage für Mission und lebensverändernde soziale Arbeit. Zu einer guten Ausbildung im christlichen Sinn gehört aber auch die geistliche Dimension, die das eigene Tun und Denken einbindet in Gottes Geschichte mit dieser Welt. Die IHL ist eine Hochschule mit Mission und die Liebenzeller Mission eine Mission mit Hochschule. Das ist eine einzigartige Kombination, für die man überhaupt nicht genug spenden kann! Wovon ich träume: dass unsere Absolventen zusammenlegen und Stipendien für Menschen aus der ganzen Welt möglich machen, die unseren neuen englischen Studiengang studieren. Theology and Development Studies als Dienst an und für eine bessere Welt.

Wie gesagt: ein Campus im Ruhrgebiet, an dem alle für ein Jahr studieren, verbunden mit Anlaufstationen für die Menschen im Umfeld. Wenn da jemand 5 Mio. zur Verfügung stellt und ein entsprechendes Grundstück (z.B. ein leerstehendes Fabrikgebäude) wäre das super. Ansonsten: im Jahr 2033 haben wir die ersten 10 landeskirchlichen Pfarrer mit IHL-Abschluss im Dienst, wir sind dabei, die ersten Promotionen vorzubereiten und der Freundeskreis finanziert wissenschaftliche Langzeit-Projekte. Und bei all dem weiter das eine Ziel: Menschen kommen zum Glauben an Jesus und lassen sich von ihm verändern und verändern so die Welt.

Prof. Dr. Roland Deines ist Prorektor und Professor für Biblische Theologie und Antikes Judentum an der IHL.

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